Levitikus

Bibelwissenschaft
© Franz Böhmisch

Lit:
John Drexler, Die Illusion des Opfers: ein wissenschaftlicher Überblick über die wichtigsten Opfertheorien ausgehend vom deleuzianischen Polyperspektivismusmodell (Münchner ethnologische Abhandlungen, 12), München 1993. John Milbank, Stories of Sacrifice, in: Modern Theology 12,1 (Jan 1996) 27-56. Mary Douglas, Atonement in Levitikus: JSQ 1 (1993/94) 109-130. Alfred Marx, Le sacrifice dans l'Ancien Testament. Regard impressioniste sur un quart de siècle de recherches: Foi et Vie 95,4 (1996) 3-17. E. Otto, Forschungen zur Priesterschrift: ThR 62 (1997) 1-50. T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg (WMANT, 70), Neukirchen-Vluyn 1995. L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift (BZAW 214), Berlin 1993. H. Utzschneider, Das Heiligtum und das Gesetz. Studien zur Bedeutung der sinaitischen Heiligtumsgesetze (Ex 25-40, Lev 8-9) (OBO 77), Freiburg CH/ Göttingen 1988. Philip Peter Jenson, Graded Holiness. A Key to the Priestly Conception of the World (JSOT.S 106), Sheffield 1992, 56-88.

Kommentare zu einzelnen Kapiteln
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Auslegungsgeschichte des Lev

Lit:
William Yarchin, The History of the Exposition of Leviticus, in: John E. Hartley, Leviticus (WBC 4), Dallas, Texas: Word Books 1992,xliii-lvi; Joh. Gottlob Carpzov, Introductio ad libros canonicos bibliorum veteris testamenti omnes praecognita critica et historica, ac autoritatis vindicias exponens, Editio secunda, Lipsiae [=Leipzig] : Haered. Frider. Lankisius 1731,116-119.

Hieronymus:

Levitikus darf erst ab dem 33. Lebensjahr gelesen werden, da sein Sinn nur schwer zu verstehen ist.

Midrasch Levitikus Rabba:

Die Kinder sollen zuerst Levitikus lesen, denn die Kinder sind rein und die Opfer sind rein.

Gliederung des Buches

Lev 1-7 Opfertorot
Lev 8-10 Einweihung des Heiligtums (schließt an Ex 40 an)
Lev 11-15 Reinheitsregeln
Lev 16 Ritual des Versöhnungstages
Lev 17-26 Das Heiligkeitsgesetz
Lev 27 redaktioneller Nachtrag

Levitikus im Pentateuch

Zunächst steht die Frage der Fünfgliederung der Tora, der "fünf Bücher Mose". Welche Funktion hat Levitikus in der Tora? Bildet Lev als mittleres Buch die Mitte des Pentateuch, gemeint im Sinne des theologischen Zentrums? Hat der Pentateuch eine konzentrische, eine progressiv ansteigende, eine dramatische, eine juristisch proklamative und argumentative oder eine erzählende Struktur? Was im Levitikus-Buch selbst wird als das Zentrum betrachtet: Lev 16 mit dem Ritual des Versöhnungstages oder die Sozialgesetzgebung in Lev 19? Gibt es Signale im Lev selbst, die diese Frage entscheiden lassen abseits von eigenen hermeneutischen Vorlieben?

Jüngling hat in einem Vortrag vor der AGAT in Trier im September 1997 klar herausgearbeitet, daß Lev durchgehend als Abfolge von Jahwereden aufgebaut ist, was zum Beispiel für Num nicht gilt. Lev hat also auch literarisch eine eigene Qualität, der in der Auslegung des Buches Rechnung zu tragen ist.

Wichtig ist die Analyse der Einleitungsformeln und hier besonders die Rolle von Lev 1,1.

Diachrone Fragestellungen: P, H, B und Dtn

P
Priesterschrift
H
Heiligkeitsgesetz
B
Bundesbuch
Dtn
Deuteronomium

Ausgangspunkt der gegenwärtigen Problematik ist die Analyse des Pentateuch durch Julius Wellhausen. Er hatte die damalige Forschung umgekrempelt, als er die bis dahin vor allem durch Nöldeke erarbeitete Grundschrift des Pentateuchs, die man als die grundlegende Quelle im Rahmen einer Quellenhypothese betrachtete, als die späteste der Quellen datierte, wofür er vor allem das Argument der Tempelzentralisation heranzog: In den Abschnitten, die man aufgrund der priesterlichen Thematik und Sprache zur Priesterschrift zusammenzog, war der Gedanke der Kultzentralisation in Jerusalem vollständig durchgeführt.

Wellhausen hatte den Abschnitt Lev 17-25 als einen älteren Part verstanden, der in diese P eingefügt wurde. Klostermann gab diesem Abschnitt die Bezeichnung "Heiligkeitsgesetz" aufgrund der häufig wiederkehrenden zentralen Wendung "'Denn ihr sollt heilig sein, wie ich heilig bin". Die Frage, ob es dieses H jemals als eigene Größe gab, ob diese Texte der P vorausgehen oder vielmehr als Korrektur der P zu gelten haben, ist zur Zeit umstrittenes Forschungsterrain.

Wichtig wurde die Trennung von Pg und Ps, also einer sog. priesterlichen Grunderzählung und sekundären Ergänzungen der Priesterschrift. Eckart Otto faßte die neueste Forschung in vier Punkten zusammen:

"1. Pg ist eine literarisch eigenständige Quelle im Sinne der Urkundenhypothese.

2. Der Abschluß dieser Quelle ist in der Sinaiperikope zu suchen.

3. Ex 35-40; Lev 8-9 sind nicht zu Pg sondern zu Ps zu rechnen. Davon abzuheben sind nachpriesterliche Schichten in Lev 10 ff.

4. Pg endet mit der Anweisung zur Einsetzung der Aaroniden und hat ihren Zielpunkt in Ex 29, 42b-46."

(E. Otto, Forschungen 36)

Elliger hatte 1966 implizit die jetzige Gestalt von H als uneinheitliche Größe bezeichnet, die zudem keineswegs P vorausgegangen sein könne. Dieser Ansatz Elligers bedeutet in der Lev-Forschung eine Wende.

1976 untersuchte Cholewinski die Beziehung von Lev zu Dtn und bestimmt H als Ergänzung zu P in Bezug auf den Sinaibund. P hat erstmalig keinen Sinaibund und keine Gesetzgebung in seinem theologischen Konzept vorgesehen und wird diesbezüglich korrigiert.

Die Grundschrift von H ist also später als die Grundschrift von P: "Das jetzige Heiligkeitsgesetz (für dessen Zusammenstellung die HG-Redaktion verantwortlich ist) entstand gerade im Hinblick auf das Deuteronomium. Dieses josianische Gesetzeskorpus sollte durch das HG ergänzt, in manchen Dingen korrigiert und modernisiert werden, einige in ihm berührte Probleme sollten sogar ganz neu geregelt werden. Jenes Anliegen kann, wenn auch nicht als einziges, so doch bestimmt als einer seiner Leitmotive und als eine der Hauptursachen seines Zustandekommens gelten" (Cholewinski, Heiligkeitsgesetz, 327).

"Es war die Absicht (H-Redaktoren), die Pg-Schrift um eine Gesetzgebung zu ergänzen, die den Lesern klar machen soll, dass am Sinai ein Bund zwischen Gott und dem Volk geschlossen wurde, und die zugleich manche Ideen der Pg betreffs des Bundes ... korrigiert. Beim Erstellen dieser Gesetzgebung diente das Dt den HG-Redaktoren als Vorbild. Das dt. Gesetzeskorpus sollte jedoch nicht einfach durch das Heiligkeitsgesetz kopiert werden. Den HG-Redaktoren scheinen viele seiner Vorschriften unvollständig, veraltet, zu radikal oder theologisch ungenügend begründet zu sein. Deshalb nahmen sie bei der Abfassung des Hg zugleich Rücksicht auf das Dt, das sie ergänzen und modifizieren wollten. Unser Ergebnis: Zwei Gründe der Abfassung von Hg sind miteinander verkoppelt 1. ein dem Dt ähnliches und dessen Lücken ergänzendes Gesetzeskorpus zu schaffen und 2. dieses in die Pg-Geschichte einzuschalten, um dieese neue Auffassung der Heilsgeschichte in macnehn Punkten zu korrigieren" (Cholewinski, Heiligkeitsgesetz, 337 f.).

"Das jetzige Hg ist wohl Produkt einer geistlichen Bewegung, deren Träger ein Teil der jerusalemischen Priesterschaft ist. Die Wurzeln dieser Bewegung liegen in der josianischen Reform, die sich in mancher Hinsicht auf die Bestimmungen des Dt stützt. Es dürften sich wohl schnell unter den jerusalemischen Priestern einige konservative und sich an die alten religiösen Traditionen gebunden fühlende Elemente gefunden haben, die zwar mit den dt Hauptreformen einverstanden waren, doch auf der anderen Seite manche gefährliche Nebenkonsequenzen dieser Reform fürchteten. Ich bin der Meinung, dass eben in diesen Kreisen das josianische Dt manche Retuschen (eben Dt 12,20-28; 16,3ab4a.8) erfahren hat, duch welche die Schärfe des Unsturzes gemildert werden sollte. Diese literarische Tätigkeit wird wohl noch vor dem Exil anzusetzen sein. Die oben erwähnte Bewegung kam mit dem Exil keineswegs zu ihrem Ende, sondern umgekehrt, sie wurde immer radikaler, die Unzufriedenheit mit dem Dt erfasste be den Vertretern dieser Bewegung neue Bereiche. Die ersten literarischen Niederschläge jener auch während des Exils zunehmenden Opposition gegen das Dt dürften die Gesetzesentwürfge H1 (Lv 17,3-9) und H5 (Lv 25) sein. Die dritte Phase in der Entwicklungsgeschichte dieser antideuteronomischen Priesterschule dürfte wohl durch die Tätigkeit der HG-Redaktoren gekennzeichnet sein. Die Frucht ihrer Arbeit ist das jetzige Heiligkeitsgesetz, in dem sie das dt Gesetzeskorpus gründlich reformieren und ergänzen wollten und das zugleich für die Einschaltung in die Sinaiperikope der Pg-Schrift bestimmt war, wo es die dort befindlichen theologischen Neuerungen ins Gleiochgewicht bringen sollte. Könnte man diese Bewegung, die letzen Endes aus dem Dt erwachsen ist, die seine Hauptprinzipien bejaht, es aber in Nebenfragen ergänzt und modifiziert, die den dt Stil nachahmt, irgendwie der deuternomistischen (dtr) Schule zuordnen?" (Cholewinski 342f.)

"Die Verfasser des Hg müssen als Seitenarm jenes umfangreichen dtr Stromes gesehen werden. Wenn wir annehmen, dass das dtr Geschichtswerk das Hauptprodukt der dtr Schule ist und dass es während des Exils in den Kreisen der in Palästina zurückgebliebenen Landleviten verfasst wurde, dann hätten wir es bei den Redaktoren des Heiligkeitsgesetzes mit einer anderen Untergruppe innerhalb dieser Schule zu tun. Jene Untergruppe bildeten einige jerusalemisch ePriester, die in das Exil gegenagen und in Babylonien tätig waren. Die Spezifika dieses priesterlichen Flügels der dtr Schule sind ein kritischeres Verhältnis dem Dt gegenüber und eine eigenartige Sprache, die ein Gemisch aus priesterlicher und dt Terminologie ist". (Cholewinski 344)

Nach Blum und Crüsemann seien Lev 17-26 sogar als Teile von P anzusehen. P als Ganzes ist als Pendant zu Dtn zu sehen, welches die dtn Gesetze neu interpretieren will.

Dagegen argumentiert E. Otto in seiner Ethik des Alten Testaments:

" Lev 17-26 ist ein Zusatz zu P, nicht aber ein konstitutiver Bestandteil dieser Schicht. Die kritische Exegese des Dtn durch das HG rückt die Einfügung dieser Kapitel in P in den Horizont der Pentateuchredaktion, die auch Dekalog und Bundesbuch als Ausgleich zwischen Dtn und priesterschriftlichem Tetrateuch in die Sinaiperikope einfügte."

Durch die Hypothese einer dekalogischen Dtn-Redaktion (G. Braulik) mit der Annahme einer sekundären Strukturierung des deuteronomischen Buches entlang den Geboten des Dekalogs ist die Entwicklung Dtn-P-Korr H wieder angefragt. Die dtn. Passagen, die Lev 19 parallel gehen, hängen von diesem Kap 19 ab. Dieses zentrale Kapitel des H ist älter als die dekalogische Redaktion im Endtext des Dtn.

Wesentlich für die zeitgenössische Problematik in der Pentateuchexegese, besonders in Bezug auf P, ist die Frage der Eigenart und Datierung dieses Textgefüges.

Die klassische Urkundenhypothese (J E Dtn P) ging von einer Chronologie der Quellen aus. Milgrom (1991) hat im Anschluß an linguistische Studien neue Positionen bezogen, die sich auf die Arbeiten von Y. Kaufmann (1960), M. Haran (1978), A. Hurwitz (1982), Z. Zevit (1982) und Polznin stützten. Nach Milgrom ist Träger der P eine prämonarchische Gemeinde, denn die Texte sind nicht im Kontext eines ganzen Volkes zu verstehen, sondern zeichnen das Kolorit einer kleinen Gemeinde in einem engumgrenzten Territorium. Ein Vergleich von P und D zeige, daß P früher sei.

R. Rendtorff führte solche Gedanken im deutschsprachigen Bereich ein.

In diese Richtung führten vor allem auch die Arbeiten von I. Knohl zur Priester-Tora und Heiligkeitschule (1987 und 1995), in denen er zuvor die präexilische Existenz von H akzeptiert, sie jedoch als später gegenüber Lev 1-16 ansieht.

Knohls Schlußfolgerung aus den angesprochenen Dilemmata lautet, daß es zwei Priesterschulen gegeben habe, eine, die das frühere P-Dokument produzierte, und eine andere Gruppe, aus der nicht nur H hervorging, sondern aus deren Kreisen auch die Leute stammten, die als Pentateuchredaktoren arbeiteten. 1996 legte Joosten eine Dissertation zur Frage der Beziehung Dtn-H vor, in der er eine soche vorexilische Datierung des H im Anschluß an Hurvitz aus linguistischen Gründen vornimmt.

 

Lev 1

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