Sir 51 |
בן־סירא |
Bibelwissenschaft
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Es handelt sich um ein alphabetisches Akrostichon mit 23 Textzeilen aus je zwei Stichen (vonא bis ת und ein פ-Vers) wie Ps 25 und Ps 34 (und nicht nur 22 Zeilen, wie es Segal rekonstruierte). Nach Skehan steckt hinter disem Gliederungsprinzip eine didaktische Absicht: Das א eröffnet am Anfang, das ל bildet die Mitte des Gedichts, nach dem ת eröffnet das פ den Schlussvers. Über der alphabetischen Struktur ergibt sich somit eine weitere, indem das durch diese Anfangsbuchstaben gebildete Verbum אלף in der Bedeutung "lernen, lehren" den Zweck der ganzen Übung angibt - für die Lehre verfasst zu sein. Diese alphabetische Struktur ist eine große Hilfe zur Rekonstruktion des Textes. Eine Textform des Gedichts war bereits aus dem Sirach-Manuskript B in der Geniza von Kairo seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Der hebräische Text in diesem Geniza-Manuskript aus dem elften Jahrhundert ist zwar distichisch geschrieben, hat jedoch die alphabetische Struktur in der ersten Hälfte stark verunstaltet. An einigen Stellen sind Lesarten des Hebräischen nur über die Rückübersetzung von Fehllesungen im Syrischen erklärbar, so dass man von einer Korrektur des hebräischen Manuskript B nach der Peschitta ausgehen muss. Ich vermute, dass für dieses letzte Kapitel nur sehr beschädigte Handschriften zur Verfügung standen, so dass hier ein Blick in die syrische Übersetzung zum Flicken der Textlücken geworfen wurde.
Ein Fragment einer Abschrift dieses Gedichts fand sich auch in einer Sammelhandschrift (PAM 43.788) von biblischen und außerbiblischen Psalmen in Qumran (11Q Psa). Bei der Analyse der verschiedenen erhaltenen Textformen dieses Weisheitsgedichtes stellte sich überraschenderweise heraus, dass es in den einzelnen Überlieferungen stark umgestaltet wurde - und gerade die Geschichte der Umgestaltung macht diesen Text noch interessanter. Als älteste Textform erwiesen sich die in Hebräisch erhaltenen Zeilen aus Qumran. Dieser Text wurde von seinem Erstherausgeber Sanders als erotisches Gedicht verstanden, das unabhängig vom Sirachbuch umgelaufen sein soll und in dieses eingebaut und dabei uminterpretiert worden sei. Diese Hypothese und ihre Bestreitung (am vehementesten von Isaac Rabinowitz, aber bereits grundlegend von Patrick W. Skehan) bestimmen seither die wissenschaftliche Diskussion. Daher zunächst zum hebräischen Textfragment von Sir 51, 13-30 aus Qumran:
ובקשתיה |
אני נער בטרם תעותי |
א |
ועד פופה אדורשנה |
באה לי בתרח |
ב |
יסמחו לב |
גם גרע נץ בבשול ענבים |
ג |
כי מנעורי ידעתיה |
דרכה רגלי כמישור |
ד |
והרבה מצתי לקח |
האיתי כמעא רוזני |
ה |
למלמדי אתן הודו |
ועלה היתה לי |
ו |
קנאתי בטוב ולוא אשוב |
זמותי ואשחקה |
ז |
ופני לוא השיבותי |
חריתי נפשי בה |
ח |
וברומיה לוא אשלה |
טרתי נפשי בה |
ט |
ומערמיה אתכונן |
[ידי פרש[תי |
י |
… |
\ ...\ כפי הברותי אל |
כ |
… |
… |
… |
שברכם בעתו[ ...] |
... |
פ |
א {Aleph} Ich war ein Jugendlicher vor meinem Umherschweifen und suchte nach ihr.
ב {Beth} Sie kam zu mir in ihrer Gestalt und bis zum Ende erforsche ich sie.
ג {Gimel} Auch die Blüte schwindet beim Reifen der Trauben sie (beide) erfreuen das Herz.
ד {Dalet Es ging mein Fuß in Geradheit denn von meiner Jugend an habe ich sie erkannt.
ה {He} Ich neigte nur wenig mein Ohr und in Fülle fand ich Lehre.
ו {Waw} Und eine Amme wurde sie mir meinem Lehrer gebe ich seinen Dank.
ז {Zajin} Ich sann und trachtete nach ihr, eiferte nach dem Guten und wende mich nicht ab.
ח {Chet} Ich entzündete mein Begehren nach ihr und mein Gesicht wende ich nicht ab von IHR.
ט {Tet} Ich setzte meine Seele auf SIE und auf IHREN Höhen wanke ich nicht.
י {Jod} Meine Hand breitete [] und IHRE Geheimnisse werde ich schauen.
כ {Kaph} Meine Hand reinigte ich in ...
...
פ {Pe} (23. Zeile) ... euren Lohn zu seiner Zeit.
Bemerkungen zu Text und Übersetzung:
) Da w und y in dieser Qumranhandschrift identisch geschrieben sind, kann jeweils auch der andere Buchstabe gelesen werden. Da Mr+b in der hebräischen Bibel mit Präformativkonjugation (Imperfekt) konstruiert wird, liest man hier zumeist den Infinitiv ytw(t statt der Perfektform yty(t. "Jugendlicher" ist jetzt im Deutschen Standardvokabular, "Jüngling" kaum noch gebräuchlich.
b Mit "Umherschweifen" lasse ich die positive Deutung als "Reisen" und die negative Deutung der jugendlichen "Irrungen" offen - sowohl das Hebräische wie das Griechische lassen beides zu. hn#rwd) ist nach Skehan eine Bildung unter Verschiebung des Stammvokals aufgrund des r im Vergleich mit der "regulären" masoretischen Bildung hnf@#$'r:d:)e (vgl. Gen 9,5).
g Zur Deutung der Metaphorik von Blüte und Trauben vgl. den Sprachgebrauch in Gen 40,10 und Jes 18,5 sowie die nur leicht verschiedene Metaphorik von Laub und grünendem Stamm in Sir 14,18. Ich lese hier (mit J. Maier und I. Rabinowitz) eine pendens-Konstruktion: das wxm#y bezieht sich auf beide vorher genannte Größen Blüte und Trauben, die allegorisch für Jugend und Alter stehen.
y Nach der Lesart des Manuskripts durch A.A. DiLella, die durch die griechische Übersetzung gestützt wird. Sanders las [yt]xtp und Skehan blieb bei [h]xtp, was eine stärkere erotische Aussage ergibt: "Meine Hand öffnete ihre Tore".
Die Übersetzungsmöglichkeiten des hebräischen Textes sind vielfältig, auch die Übersetzungen der Fachleute (englisch: Sanders, Skehan, Rabinowitz, Deutsch u.a.; deutsch: Hamp, Marböck, Rickenbacher, Küchler, Sauer, Maier) unterscheiden sich grundlegend.
M.E. erklären sich die verschiedenen Übersetzungen und zahlreiche weitere Text- und Übersetzungsprobleme, die wohl auf die schon von Th. Nöldeke beobachtete radikale Defektivschreibung des ursprünglichen hebräischen Sirachtextes zurückgehen, als unterschiedliche Lesungen des ursprünglichen hebräischen Textes. Die unterschiedlichen Deutungen wirken sich in der Folge selbstverständlich auch auf den Kontext aus.
Der rekonstruierte Text von Sir 51,13-30 nach Skehan mit den Verbesserungen von Di Lella liest sich in deutscher Übersetzung etwa so:
א Ich war ein Jugendlicher vor meinem Umherschweifen |
und suchte (schon) nach ihr. |
ב Sie kam zu mir in ihrer (schönen) Gestalt |
und bis zum Ende erforsche ich sie |
ג Auch die Blüte schwindet beim Reifen der Traubeמ |
sie (beide) erfreuen das Herz. |
ד Es ging mein Fuß in Geradheit |
denn von meiner Jugend an habe ich sie erkannt. |
ה Ich neigte nur wenig mein Ohr |
und in Fülle fand ich Lehre. |
ו Und eine Amme wurde sie mir |
meinem Lehrer gebe ich seinen Dank. |
ז Ich sann und trachtete nach ihr, |
eiferte nach dem Guten und wende mich nicht ab. |
ח Ich entzündete mein Begehren nach ihr |
und mein Gesicht wende ich nicht ab von IHR. |
ט Ich setzte meine Seele auf SIE |
und auf IHREN Höhen wanke ich nicht. |
י Meine Hand streckte ich aus in die Höhe |
und IHRE Geheimnisse schaue ich. |
כ Meine Handflächen reinigte ich für sie |
in Reinheit nahte ich mich ihr. |
ל Einsicht erwarb ich durch sie von Anfang an |
deswegen ich sie niemals vergessen werde. |
מ Mein Innerstes war erregt, sie zu suchen, |
deswegen ich sie als meinen guten Besitz erwarb. |
נ Es gab der Herr mir als Preis meine Zunge |
und mit meinen Lippen will ich ihn preisen. |
ס Kehrt ein bei mir, ihr Ungelehrten, |
und verweilt in meinem Lehrhaus! |
ע Bis wann wollt ihr entbehren ihre Nahrung |
und eure Kehle so sehr dürsten lassen!? |
פ Ich öffnete meinen Mund und sprach über sie. |
Kauft euch ein ohne Geld! |
צ Eure Nacken beugt unter das Joch |
und es trage euer Selbst ihre Last! |
ק Nahe ist sie denen, die sie suchen, |
und wer sein Selbst gibt, findet sie. |
ר Seht mit euren Augen, wie wenig ich mich mühte, |
und wieviel ich gefunden habe! |
ש Hört die Weisung nur ein wenig |
und Silber und Gold könnt ihr durch sie erwerben! |
ת Es freue sich Euer Selbst an seiner Huld |
und schämt euch nicht in seinem Lobpreis! |
פ Tut eure Taten zu seiner Zeit |
und er wird euren Lohn geben zu seiner Zeit. |
Im ganzen Gedicht in dieser ursprünglichen Fassung taucht der Name der SIE nicht auf, die der Weisheitslehrer in seiner Jugend gesucht und gefunden hat. Es handelt sich um eine Allegorie, die der Leser (und auch die Leserin, die jedoch bei Sirach weniger im Blick ist) entschlüsseln muss bzw. zu deren Entschlüsselung wir genötigt werden, wenn der Text zwischen der Bildebene einer Liebesbeziehung und der allegorischen Ebene hin- und herwechselt. Es wäre daher verfehlt, mit T. Muraoka eine ursprüngliche Überschrift, die das Wort hmkx enhielt, zu vermuten. Spätestens in der Zeile mit dem Anfangsbuchstaben He (h) stellt sich die Frage, wer diese SIE nun wirklich ist. Nach den Eingangsversen würde man kaum erwarten, bei IHR ausgerechnet Lehre in Fülle zu finden. Nun stellt sich (durch diese Isotopiebrüche) eine allegorische Verunsicherung im Textverständnis ein, die noch verstärkt wird, wenn der Text mit der x-Zeile wieder in die Liebessprache wechselt und auch erotische Ausdrücke in die Beziehung des Jugendlichen und seiner SIE einbringt, um dann später wieder in den Aufruf zu münden, sich im Lehrhaus zu bilden.
Celia Deutsch hat gezeigt, dass dieses autobiographische Abschlussgedicht, das den Weisen selbst nochmals in den Mittelpunkt stellt, inhaltlich aus zwei Teilen besteht: einem Bekenntnisteil in Sir 51,13-22 und einem appellativen Teil in Sir 51,23-30 (Confession and Exhortation). Der Weisheitslehrer beschreibt die Weisheitssuche als einen lebenslanger Prozess und identifiziert sich mit denen, die er in sein Lehrhaus einlädt, indem er auf seine eigene Jugend zurückblickt.
Für die weitere Analyse wird der gut begründete Rekonstruktionsversuch des hebräischen Textes von Sir 51,13-30 durch Patrick W. Skehan vorausgesetzt, der in der ersten Hälfte zumeist den Text des Qumranfragments aufnimmt und im zweiten Teil das Manuskript B nach dem Syrischen und Griechischen korrigiert.
Bezüge zurück ins Sirachbuch
Wer das Sirachbuch bis zu diesem
letzten Kapitel gelesen hat, dem erschließen sich in diesem
Abschlussgedicht über eine Verkettung von Schlüsselwörtern
Bezüge zurück ins Buch, besonders deutlich zu den
Abschnitten Sir 6,18-37 und 14,20-15,10. Sir 6,18-37 besitzt sogar
eine parallele Struktur. Den 22 Versen von Sir 6,18-37 entsprechen
die 22+1 Zeilen des Abschlussgedichts. Das Gedicht hat nach Skehan
neben der Zweigliederung in Rückblick und Aufforderung eine
Dreigliederung (Sir 51,13-17.18-22,23-30): V 17, V 22 und Vv 29-30
setzen in einem Suffix der 3. p. sg. m. einen Bezug auf Gott. Diese
dreigeteilte Struktur geht parallel mit der Struktur von Sir 6, das
durch drei Anreden ynb ebenfalls in
drei Teile gegliedert ist. Die Schlüsselbegriffe von Sir 6
werden in Sir 51 wieder aufgenommen (unter Zuhilfenahme der
rekonstruierten Fassungen von Sir 6 und Sir 51 von Skehan):
Myrw(n |
Jugend |
6,18 |
51,13 |
rswm |
Weisung,Lehre |
6,19 |
51,23 rswm tyb |
Wurzel db( |
Dienst |
6,19 |
|
+(m |
wenig |
6,19 |
51,16 |
bwr / hbrh |
viel sein / Fülle |
6,19 |
51,16 |
r)wc |
Nacken |
6,24 (rekonstruiert) |
51,26 |
xql |
Lehre |
6,23 (rekonstruiert) |
51,16 |
hrswm |
Fessel |
6,25 |
- |
hxwnm |
Ruhe |
6,28 |
in Sir 51,28 im Griechischen als Interpretation eingetragen. |
l(u |
Joch |
6,31 |
51,26 |
hr+( |
Krone |
6,31 |
- |
Nz) |
Ohr |
6,33 |
51,16 |
Nqz |
Greis |
6,34 |
- |
#qb |
suchen |
6,27 |
51,13 |
#rd |
suchen |
6,27 |
51,14 |
)cm |
finden |
6,27 |
51,16 |
brq |
sich nähern |
6,19 |
51,26 |
lgr |
Fuß |
6,36 |
51,16 |
In Sir 6,18-37 war der angesprochene Weisheitsschüler aufgefordert worden, sich von der Weisheit umgarnen und fesseln zu lassen, sie zu suchen und sich sogar unter ihr Joch zu beugen - bei ihr würde er Ruhe finden, die Umgarnung zum prachtvollen Gewand werden und das Joch zu einer Krone. Was im Eingangsbereich des Buches Jesus Sirach als Aufforderung an den Schüler erging - das schildert der Weisheitslehrer nun am Ende des Buches als seine eigene Jugenderfahrung. Indem der Buchautor sich in diesem autobiographischen Gedicht in die gleiche Situation zurückversetzt, in der sich die Schüler gerade befinden, erhalten seine Ausführungen für diese im Nachhinein eine neue Plausibilität, weil sie durch eigene Erfahrung gedeckt sind.
Metaphern für die Weisheit, die sich auch an anderen Stellen im Sirachbuch finden, werden wieder lebendig: Die Weisheit ist wie eine Mutter in Kinderjahren und wie eine Gattin in Jugendjahren (Sir 15,2). Wenn der Schüler sich von rswm "Zucht, Mahnung, Weisung" fesseln lässt, bei Sirach in erweiterter Bedeutung fast als Synonym zu hmkx "Weisheit" gebraucht, dann werden hfyteros:wOm "ihre Fesseln" zu einem Prachtgewand und das Joch hl( der Weisheit zum Goldschmuck (Sir 6, 23-31). In Sir 51,16 (dem c-Vers) wird dieser Abschnitt mit dem Aufruf eingespielt: "Beuge deinen Nacken unter ihr Joch". Wer nach der allzubekannten nichtgenannten Sie sucht, dem naht sie sich und von dem läßt sie sich finden (Sir 6,26-27; Sir 51, 26). Leider ist vom hebräischen Text von Sir 6,18 nur der Schluss erhalten, doch kann man aus dem Griechischen das Motto rekonstruieren, das sowohl hinter Sir 6 wie Sir 51 steht:
hmkx gy#t [hby# d(w rswm xq Kyrw(nm ynb]
Mein Sohn, von deiner Jugend auf nimm Weisung an und bis ins Alter wirst du Weisheit erreichen.
Die Forderung an den jungen Mann, sich auf Weisheit hinzuorientieren und sie auch im Kreis der Alten zu suchen (vgl. auch Sir 6,34), wird am Ende des Buches nochmals aufgenommen, indem Sirach das Verhältnis von Jugend und Alter aus der Sicht des alten Weisen thematisiert, der auf seine Weisheitssuche in der Jugend zurückblickt.
Die dem abschließenden Weisheitsgedicht zugrundeliegende Allegorie ist also bestens vorbereitet - der Schlüssel zur Deutung ist im Buchganzen enthalten und wird dem Leser und Hörer nicht entgehen.
Mit dem Lösungswort "Weisheit" und den genannten Beziehungen zurück ins Sirachbuch ergibt sich für fast jeden Vers eine neues Verständnis, das die vordergründige Aussage in der Sprache der Liebespoesie nicht ersetzt, aber aus ihr über den allegorischen Transfer hervorgeht. Diese zweite Ebene des Verstehens haben jedoch die Übersetzungen oftmals in den Text eingetragen und ihn damit ein Stück weit seiner poetischen Kraft beraubt. Die Ausdrücke aus der Liebespoesie (auch die erotischen Formulierungen, die weniger und in der Weisheitsliteratur gängiger sind, als sie Sanders aufzeigen wollte) haben zugleich einen Sinngehalt auf der allegorischen Ebene des zweiten Verständnisses als Aussagen über die Weisheit. Die griechische und die syrische Übersetzung zeigen in ihren Rückgriffen auf Sir 6 u.a. bei der Übersetzung von Sir 51, daß sie das Buch sehr gut, als Übersetzer womöglich zu gut kannten. Dieses Wissen trugen sie bei Ihrer Übersetzung mit ein, was zugleich eine Reduzierung der Bildebene aus der Liebessprache bedeutete.
Schlussappelle an die Jugend bei Sirach und Kohelet
Weisheitsbücher scheinen gerne in Allegorien
auszuklingen: Sowohl das Sprüchebuch mit
seinem alphabetischen Akrostichon über die starke Frau (Spr
31,10-31) wie auch das Koheletbuch mit der
Allegorie auf das Altern (vor seinen zwei Nachworten) setzen diese
literarische Technik am Buchschluss ein. Das Sirachbuch versucht das
Sprüchebuch mit Sir 51,13-30 auch formal nachzuahmen, indem hier
wie dort ein alphabetisches Akrostichon mit einer Allegorie auf die
Weisheit ans Ende gesetzt wird. Zugleich liegt in Sir 51,13-30, was
von C. Spicq (838) und J. Marböck (124) angedeutet wurde, eine
Auseinandersetzung mit dem Buch Kohelet vor. Es ist bezeichnend, dass
und wie unterschiedlich Kohelet und Sirach am Ende nochmals ihre
Hauptadressaten in den Blick nehmen, indem sie das Thema der Jugend
(r(n bzw. Myrw(n
bei Sir, rwxb, bzw. twdly
und twrwxb bei Koh)
herausgreifen.
Bereits Sanders (Dead Sea Psalms Scroll, 113.117) hat gezeigt, dass sich Sir 51 besonders an die Jugend richtet. Einen solchen Schlussappell mit Überlegungen über das Verhältnis von Jugend und Alter bietet auch das Ende des Koheletbuches in Koh 11,9-12,7: "Freu dich, junger Mann, in deiner Jugend, sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren! ..." Ludger Schwienhorst-Schönberger zeigt die Spannung dieses Abschlussgedichtes bei Kohelet auf: "Formal ist es ein Aufruf zur Freude, inhaltlich über weite Strecken aber eine Beschreibung von Alter, Krankheit und Tod." Es folgen dem Aufruf zum "Carpe diem" eindrucksvolle allegorische Bilder für das Verfallen des Menschen im Alter. Kohelet spricht hier abschliessend nochmals die Jugend an, offeriert allerdings ein m.E. wenig motivierendes Abstiegsmodell: Von der Blüte der Jugend geht es nur vergab, die Vitalität schwindet und erlöscht im Tod schließlich ganz. Damit begründet er nochmals seinen Appell, die Jugend auszukosten. Die Aussage Kohelets, die Freude alle Tage des Lebens zu geniessen, wie sie L. Schwienhorst-Schönberger als Botschaft des Schlussgedichts bei Koh herausarbeitet, bleibt einem bei diesem Schluss wie ein Klos im Halse stecken - Kohelet signalisiert doch zu deutlich, dass seiner Ansicht nach die Anlässe zur Freude im Alter rapide nachlassen werden.
Das Auskosten der Jugend angesichts des Todes ist auch ein Thema des Sirachbuches (Sir 14,11-19) nicht jedoch Sir 26,19-27, das in den meisten Textzeugen fehlt und ein Zusatz ist) und der Tod als Ende der Vitalität ist auch Sir vor Augen (Sir 38, 16-23; 41,1-4), doch bringt Sirach eine andere Sicht des Alterns ein:
Sir 51,15 Auch die Blüte verschwindet beim Reifen der Trauben sie (beide) erfreuen das Herz.
Der Blick zurück an den Anfang wird zu einem Loblied auf die Vitalität der Jugend, die sich zur abgeklärten Ruhe des Alters entwickelt, wenn sich das Streben auf die Weisheit richtet. Ben Sira stellt sich als Lehrer vor, der der Jugend bei der Entfaltung ihrer Fähigkeiten von der Jugend bis zum Alter beisteht. Ben Sira schildert den Aufbau einer Beziehung zur Weisheit im allegorischen Kleid einer erotisch gestimmten Liebesbeziehung vom ersten brennenden Verlangen bis zur ruhigen Geborgenheit des Alters. Die Weisheit ist Partnerin des Lebens in allen Lebensphasen, die jugendliche Begeisterung zu wecken vermag, das Leben und die Welt gestalten hilft und bis ins Alter Ruhe und Geborgenheit bietet.
Die griechische Übersetzung (und die meisten deutschen Übersetzungen, selbst wenn sie die hebräischen Texte berücksichtigen) löst die Allegorie bereits im ersten Vers des Gedichts auf. Bereits im Aleph-Vers wird die Gesuchte genannt, die ein aufmerksamer Leser des Sirachbuches nach 50 Kapiteln sehr schnell selbst erraten hätte (Übersetzung des Textes aus der kritischen Ausgabe von Ziegler):
Eti wn newteroj, prinh planhqhnai me, ezhthsa sofian profanwj en proseuxh mou ...
Als ich jung war, bevor ich herumschweifte, suchte
ich die Weisheit (offen
im Gebet).
Vor dem Heiligtum suchte ich sie,
und bis ans Ende werde ich sie suchen.
Wegen
der Blüte, wie sie sich zur Traube dunkel färbt, freute
mein Herz sich an ihr.
Es schritt mein Fuß
in Geradheit, seit meiner Jugend verfolgte ich sie.
Ich
lieh ihr kurz mein Ohr und empfing, und viel Weisheit
fand ich für mich.
Erfolg
widerfuhr mir, dem, der mir Weisheit
gab, will ich Ehre geben.
Ich
sann danach, sie zu tun, und ich suchte das Gute und wurde nicht
beschämt.
Meine Seele rang um sie, das
Tun des Gesetzes untersuchte ich genau.
Meine
Hände erhob ich in die Höhe und ihre Unverständlichkeiten
beklagte ich,
Meine Seele richtete ich auf
sie und in Reinheit fand ich sie.
Das Herz
richtete ich auf sie von Anfang an, deswegen werde ich nicht
verlassen sein.
Mein Innerers war bewegt, sie
zu suchen, deswegen erwarb ich einen guten Besitz.
Es
gab mir der Herr meine Zunge als Lohn und mit ihr will ich ihn
preisen.
Nähert euch mir, ihr
Unwissenden, und verweilt in meinem Lehrhaus.
Warum
noch habt ihr Mangel an diesen, und eure Seelen sind durstig?
Ich öffne meinen Mund und sage: Kauft für
euch ohne Geld!
Euren Nacken beugt unter das
Joch und eure Seele empfange Bildung: nahe ist, sie zu finden.
Seht mit euren Augen, dass ich nur wenig mich mühte
und für mich viel Ruhe fand.
Nehmt
Bildung an mit einer Vielzahl Geldes und viel Gold erwerbt ihr mit
ihr.
Es möge erfreut sein eure Seele an
seinem Erbarmen, und schämt euch nicht seines Lobes.
Tut
eure Werke zur rechten Zeit, und er wird euch euren Lohn geben zu
seiner Zeit.
(Bemerkungen zur Übersetzung: Der Text bei Rahlfs (B) unterscheidet sich an vielen Stellen, die kritische Ausgabe von Ziegler gibt den besseren Text. aciow in V 14 ist (wie z.B. häufig in Daniel) u.a. mit "fragen, suchen, fordern, ersehnen, verlangen" zu übersetzen.)
Von der ursprünglichen allegorischen Liebesgeschichte ist hier nicht mehr allzuviel übriggeblieben. Die Textvorlage des griechischen Übersetzers muss bereits Ende des 2. Jahrhunderts an vielen Stellen beeinträchtigt gewesen sein. Die augenfälligste Sonderentwicklung ist die Formulierung enanti naou "vor dem Heiligtum" im b-Vers, die einen ganz neuen Sinn erzeugt. Smend hatte eine innergriechische Verlesung aus en neoteti in meiner Jugend vermutet, doch erscheint mir plausibler, wie Rabinowitz die Genese dieser griechischen Übersetzung aus einer Fehllesung des Hebräischen zu erklären: yl h)b wurde vom griechischen Übersetzer zusammengelesen als ylh)b "bei meinem Zelt" oder wlh)b "bei seinem Zelt", was ihm als schriftgelehrten Übersetzer die Interpretation als Zeltheiligtum nahelegte - und das wiederum zog weitere Konsequenzen nach sich.
Die spätere Relecture von Sir 51,13-30 als Salomoautobiographie und der Anhang Sir 52 in der Vetus Latina
Aus Signalen in der griechischen Übersetzung von Sir
51,14 konnte Skehan eine Uminterpretation des Kapitels auf Salomo hin
aufzeigen, die vom ursprünglichen Autor nicht intendiert war,
vielmehr wohl durch diese Fehllesung von yl
h)b angeregt wurde. Die ungewöhnliche Erweiterung
profanwj en proseuxh mou am Ende des
vorhergehenden Verses zeigt, wie durch Anspielungen auf das
Tempelweihgebet in 1Kön 8,22=2Chr 6,12 das Schlussgedicht des
Sirachbuches durch den griechischen Übersetzer zur
autobiographischen Schilderung Salomos uminterpretiert wird. Das
Gebet Salomos wurde offen vor allem Volk vor dem Tempel gesprochen.
Diese Uminterpretation hat jedoch einen Anhalt in Sir 47,13-14:
Salomo war König in friedlichen Tagen, Gott verschaffte ihm Ruhe ringsum. Er baute ein Haus für den Namen des Herrn und errichtete ein Heiligtum für immer. Wie weise warst du in deiner Jugend Kyr(nb, von Bildung rswm strömtest du über wie der Nil.
Auch Weish 8,2-18, ein noch späterer Text im Alten Testament, der ähnlich wie Sir 51 ein Liebesgedicht auf die Weisheit bietet, ist als innerer Monolog Salomos konzipiert und mündet in Salomos Gebet um die Weisheit in Weish 9, 1-18 ein. Die Weisheit als Braut Salomos scheint also bereits als Topos vorbereitet gewesen zu sein. Diese Entwicklung hat in der weiteren Überlieferung des Sirachbuches zum Anhang des Tempelweihgebetes aus 2 Chr 6,13-21 (zusammengearbeitet mit Stellen aus der Parallele in 1Kön) an das Sirachbuch als Sir 52 geführt, das in der Vetus Latina als Anhang auftaucht.
Sir 51,13-30 als konstitutiver Baustein des Sirachbuches
Die Bezüge des Textes in das
Sirachbuch zurück und die im Vergleich bereits von Skehan,
Rabinowitz u.a. aufgezeigte genetische Entwicklung aller Textformen
aus einem hebräischen Grundtext lassen die Frage stellen, ob
dieser Text jemals eine vom Sirachbuch unabhängige Vorgeschichte
gehabt haben kann, wie es der Erstherausgeber Sanders postulierte und
seither zahlreiche Exegetinnen und Exegeten annehmen (z.B. Lutz
Schrader). Doch nicht nur die inhaltlichen Bezüge sprechen
dagegen, auch formale. Ben Sira setzte - wohl aus didaktischen
Gründen - alphabetische Strukturen in seinem Buch vielfältigst
ein. Alphabetisierende Gedichte mit jeweils 22 Distichen finden sich
in Sir 1,11-30; 5,1-6,4; 6,18-37 (Eröffnung des dritten Teils);
12,1-18; 13,24-14,19 (Schluss des dritten Teils); 21,1-21; 29,1-20;
29,21-30,13; 38,24-34; 49,1-16 (Schlussabschnitt im Lob der Väter);
Sir 51,13-30. Zwar setzt Ben Sira hauptsächlich Abschnitte in 1.
Person und Weisheitsperikopen für die Großgliederung des
Buches ein, doch hat er nach W. Roth auch ganze Abschnitte nach dem
Alphabet gegliedert:
b) |
Sir 3,1 ff |
t#b |
Sir 4,20 ff |
hw)g |
Sir 7,1 ff |
t(d |
Sir 15,11 |
Es erscheint mir (mit Skehan, Rabinowitz u.a.) gegen die herrschende Forschungsmeinung nicht plausibel, ein anonym umlaufendes und von Ben Sira erst sekundär in sein Buch aufgenommenes Gedicht anzunehmen. Sir 51,13-30 ist m.E. vielmehr ein konstitutiver Baustein des Sirachbuches und erst sekundär aus diesem Buch ausgegliedert als Einzeltext umgelaufen und in die Psalmenrolle in Qumran aufgenommen worden.
Sich voller Begeisterung von Jugend auf
der göttlichen Weisheit verschreiben und mit ihr alt werden: das
ist die Lebensphilosophie des Ben Sira und eines Großteils auch
der späten Weisheitsliteratur. Ben Sira stellt sich in seinem
autobiographischen Schlussgedicht selbst als ein Weiser dar, der
dieses Ideal verkörpert, und er will damit seine jugendlichen
Zuhörer motivieren und ihnen aufzeigen, dass seine Weisungen
(vgl. Sir 6) von Erfahrung gedeckt sind.
Christine Zimmermann, Die Namen des Vaters. Studien ... (AjEC 69), Leiden/Boston 2007,
# 55: Erstaunlicherweise vermeidet jedoch die LXX in dem in Kap. 51 überlieferten Klagelied die Erwähnung der Vaterschaft Gottes in Bezug auf den Beter: so überliefert sie an dieser Stelle κυριον πατερα κθριου μου und für אלהי אבי in 51,1 κυριε βασιλευ.
FB kommentiert:
Bickell,
Rückübersetzung online
Franz Böhmisch
<boehmisch@animabit.de>
bemerkt zu diesem Kapitel:
In Françoise
MIES, «De la brûlure d’un feu…» –
Ben Sira 51,5a (hébreu), in: Biblica (2005) 260-268 bringt
Françoise MIES eine neue Lesung von Sir 51,5a (hjp ˆyal
ça twbkm) mit Vergleich zu Ijob 20,26, ›emah³ot
47b und Weish 17,6.
http://www.bibelarbeit.net/sir51.htm
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