Erfahrungen mit Computereinsatz in der Exegese

von

Franz Böhmisch © Copyright


Bericht von einem Proseminar an der KTH Linz WS 1994/95


I

 PS

 2 Std.Von der Handschrift zum File: Computereinsatz in der Exegese

 

Der Sprung von der Handschrift zum Buch ging mit einem Verlust an Ästhetik einher, verbreitete die Schriften jedoch in einem ungeheuren Ausmaß und machte sie für viele zugänglich. Der Sprung vom Buch zum Computer reduziert die Schriften gänzlich zu Information (unter vielen Informationen), macht sie jedoch in nie geahnter Weise zugriffsfähig. Tage an Konkordanzarbeit geschehen mit einem guten Programm in Sekunden.

 

Aufgabe dieses Proseminars ist es, die neuen Entwicklungen zu verfolgen und zugänglich zu machen. Software-Grundwissen ist zunächst zu vermitteln. Neue Produkte werden vorgestellt und die Arbeit mit Ihnen auf ihre Effektivität hin überprüft: Quest ["Hardmeier-Konkordanz"], eine morphosyntaktische Computerkonkordanz mit einem hohen fachwissenschaftlichen Anspruch; BibleWorks, ein System zur Arbeit mit hebr. gr. lat. engl. Bibeln unter Windows mit Lexika [z. B. Brown-Driver-Briggs für hebr.], Konkordanzsuchroutinen, Formbestimmung, Hebräisch-Lernprogramm, Winbibel [Einheitsübersetzung für ein größeres Publikum, Konkordanz].

 Textverarbeitungshilfen unter Windows: Logos, UniVerse, UniType, und was bis Okt. 94 noch erscheinen wird.

 Strukturen hypertextfähiger Bibelprogramme (vergleichbar den Hilfsmodulen bei Windows-Programmen bzw. der Glossa Ordinaria, Biblia Rabbinica in der Auslegungstradition) sollen durchdacht werden, die den Bibelkommentar als Verstehenshilfe des Primärtextes Bibel wieder an den Rand stellen, und nicht sozusagen als Extrakt in die Mitte. Ein Überblick über heutige Versuche computer-basierter Exegese-Projekte ist zu vermitteln bis hin zu bibeldidaktischen Programmen und neueren Versuchen, mit interessant gemachten Bibelspielen in die "virtual reality" der "kids" einzubrechen und über eine "biblical reality" ein "Fenster" zur religiösen Wahrnehmung von Welt offenzuhalten.

 Schwerpunke liegen

 1) in der Arbeit mit BibleWorks (Arbeit an alttestamentlichen Texten)

2) dem Einsatz von Hypermedia und -text in der Bibelarbeit (Datenbank, CD)

 3) sowie der Knüpfung von Kontakten zu Produzenten und Firmen.

 

Zur ersten Orientierung: Reader im Semesterapparat; Christian Dandl, Bibel und Computer, Linz 1993 (Diplomarbeit bei Prof. Hubmann); C. Hardmeier, Dialogfähige Computer-Konkordanz. Die Erweiterung der Grundlagen empirischer Textanalyse durch ein neues Forschungsinstrument: Applicatio 7 (1989) 119-134; C. Hardmeier/ E. Talstra, Sprachgestalt und Sinngehalt. Wege zu neuen Instrumenten der computergestützten Textwahrnehmung: ZAW 101 (1989) 408-428.

 Hermeneutika (ed.), BibleWorks for Windows. Version 2.3. User Manual (Bibliothek)

 als "Klassiker": J. Hughes, Bits, Bytes & Biblical Studies. A Resource Guide for the Use of Computers in Biblical and Classical Studies, Grand Rapids - Michigan 1987.

 


Das Proseminar versuchte eine

Bestandsaufnahme der neuen Möglichkeiten

die die Computertechnologie für die Auslegung des Alten Testaments im besonderen bietet. Die Programme BIBLEWORKS for Windows und QUEST (DOS) standen als Resourcen zur Verfügung. Als Untersuchungsobjekte nahmen wir einmal die Opferbegriffe des Alten Testaments genauer in den Blick: Wie wurden die hebräischen Begriffe in der griechischen Septuaginta, der Vulgata, in englischsprachigen Bibeln übersetzt.

 Einen Einblick in diese Arbeit kann folgende Tabelle der hebräischen, griechischen, lateinischen und englischen Opferbegriffe in der Genesis geben.

 Diese Aufgabe mit Konkordanzen des herkömmlichen Typus zu bearbeiten ist ob des großen Arbeitsaufwandes fast unmöglich. Mit Hilfe elektronischer Konkordanzen meinten wir die Frage angehen zu können. Zum anderen hieß es einen Überblick über den Markt und die Institutionen zu gewinnen, was erst mit Hilfe des Internet und den hier vorhanden Informationsquellen gelingen konnte. Einige Ergebnisse dieser Recherchen können Sie in den vorliegenden Übersichten einsehen. Es zeigte sich, daß gerade für die Bibeldidaktik mehr noch als für die Bibelexegese neue Chancen gegeben sind.

Der Erfolg des Proseminars ist gemischt.

 Im Verlauf des Proseminars wurde den Teilnehmern klar, daß

 1. Programme Fehler haben können und die Abfragelogik nicht unbedingt mathematischen oder linguistischen Gepflogenheiten entsprechen muß,

 2. die Datenbasis der Programme Vorentscheidungen enthält, die wir implizit übernehmen müssen,

 3. die Interessen der Programmacher nicht unbedingt den Interessen der Fachwissenschaft entspechen, sondern (legitimerweise) primär einen Markt bedienen,

 4. und dennoch diese Programme einen großen Beitrag für die Exegese bieten, da sie mühselige linguistische Arbeit oft auf einen Mausklick reduzieren.

 

Sinnvolle Ergebnisse bedürfen jedoch einer stringent durchdachten Abfragelogik. Hier war es für viele Teilnehmer wertvoll, ihren eigenen Beitrag an der Arbeit mit der Bibel unterstützt von EDV zu erkennen:

 Ohne eine sinnvolle Frage tut der Computer gar nichts. Der Mythos des "Automatischen", der dem Computer in Theologenkreisen anhaftet, wo keine Fehler mehr auftreten und alles objektiviert ist, zerbröckelt schnell.

 Eines ist klar geworden. Die bisherige Praxis einiger Exegeten, ihre computerunterstützten Ergebnisse als Bücher mit Hunderten von Seiten zu veröffentlichen, ist völlig anachronistisch und nur von der medialen Übergangsphase her zu legitimieren.

 Die Zukunft gehört der multimedialen Kommunikation über Netze, auch in der Theologie, gerade in der Bibelwissenschaft. Daß die Institute, die in der computerunterstützten Arbeit an der Bibel führend sind, in den Netzen kaum präsent sind, hat uns verwundert.

 Offensichtlich haben es diese Exegeten noch nicht geschafft, die computertechnischen Änderungen der letzten fünf Jahre in die exegetischen Projekte zu integrieren.

 Die Kommerzialisierung der Projekte, die an eBibeln arbeiten, ist zu begrüßen. Denn nur dadurch können die Ergebnisse über einen elitären Kreis von akademischen Bibelauslegern/Bibelauslegerinnen hinauswachsen. Der kulturelle Umbruch wird die Kirchen voll in seinen Strudel hineinziehen, wenn sie nicht ins intellektuelle Ghetto abgleiten wollen. Wenn Theologen/Theologinnen in der Gesellschaft präsent sein wollen, so müssen sie ihre Themen elektronisch verarbeiten und auch in die Netze bringen. Das Ergebnis des PS weitete also den Blick über die Bibelwissenschaft hinaus auf die Frage der gesellschaftlichen Präsenz religiöser und theologischer (also Religion reflektierender) Themen.

 Eine Proseminararbeit enthielt ganz interessante Befunde zu der Verbreitung von Opferbegriffen in der Biblia Hebraica, LXX etc. und zugleich eine recht ernüchternde Reflexion: Die Programme müssen noch besser werden, um solche Fragen bearbeiten zu können. Wichtig ist vor allem, daß die Abfragen nicht nur an einer Bibelversion, sondern an mehreren gleichzeitig durchgeführt werden können. So daß man fragen kann: Wo wird 'ôlâ (hebr.) in der griechischen Septuaginta mit holokautôma und lateinisch mit holocaustum übersetzt? Der Hintergrund dieser Fragestellungen war die Rezeption der Theorie von R. Girard, die mit dem Begriff Opfer (sacrifice) in einer Art und Weise arbeitet, welche von Begriffskonstellationen der hebräischen Bibel nicht unbedingt gedeckt ist und auf eine lange christliche Rezeption von Opfer baut.

 Positive Auswirkung des PS war mit Sicherheit, daß Seminararbeiten nunmehr auch hebräische und griechische Texte professionell integrieren und sich weniger Leute von solchen Problemen abschrecken lassen.
 

Franz Böhmisch