HenochApokryphe Literatur mit Berufung auf Henoch aus Gen 5 |
Bibelwissenschaft© Franz Böhmisch |
Es gibt eine Unmenge an Henochliteratur, die sich auf Henoch
beruft. Die Henochgestalt wird in der jüdischen Literatur zu einem
Typus des Gerechten, der gemeinsam mit anderen Erzvätern bei der Offenbarung
des eschatologischen Heils vom Himmel her erscheinen wird. Die Henochliteratur
erfreute sich auch bei den Christen großer Beliebtheit. So gibt es
neben den großen bekannten Henochbüchern eine koptisch-saidische
Henochschrift (7.Jh.), eine armenische Vision der Gerechten Henochs
(8.Jh.), eine Apokalypse von Bischof Kyriakos von Segestan und Bar
Salta von Resayna (8. Jh.), eine lateinische Schrift astrologischen
Inhalts aus dem Mittelalter, die auf eine arabische Vorlage aus dem
8. Jh. zurückkeht und viele christliche Visionsschriften, die dem
Inhalt nach der Henochliteratur zuzuordnen sind.
Den Kern der Henochliteratur machen die drei großen Henochbücher
aus: das äthiopische Henochbuch (1Hen, äthHen),
das slavische Henochbuch (2Hen, slHen) und das
hebräische
Henochbuch (3Hen).
vgl.
Christfried Böttrich, Weltweisheit - Menschheitsethik - Urkult.
Studien zum slavischen Henochbuch (WUNT 2/50), J.C.B. Mohr (Paul Siebeck):
Tübingen 1992, ISBN 3-16-145860-5, DM 89.
Diese Dissertation an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig 1990/91
bietet eine umfassende Einführung in das sog. slavische Henochbuch.
Eine ausführliche Bibliographie und eine umfangreiche und nuancierte
Forschungsgeschichte spannen den Bogen von hebräisch-aramäischen
Henochtraditionen des 3. Jh. v. Chr. über die südslavischen Übersetzungen
des 11. Jh. und deren Eingliederung in die altrussischen Chronographen
des 15. Jh bis hin zu den letzten Handschriften im 18. Jh. Die slavische
Überlieferung bietet im Wesentlichen zwei Textformen in einer Lang-
und einer Kurzfassung. In kompakten Exkursen wird über die verschiedenen
Kapitel- und Verszählungen informiert und die Kapitelzählung
in der Übersetzung von Andersen empfohlen (Proömium Kap 1a, Melchisedek
Kap 69-73), eine Liste aller Handschriften geboten, die Frage der Melchisedekerzählung
im sog. Anhang des slHen schwerpunktmäßig untersucht, die Bedeutung
des Kalenders in slHen analysiert und die immer wieder aufgeworfene Frage
des Einflusses von Stoffen aus slHen auf die Ikonographie der Ost- und
Westkirche eher skeptisch überprüft. In der Rückfrage nach
der griechischen Überlieferung lassen sich literarkritisch Zusätze
aus jüdischer Mystik (Henoch im 8.-10. Himmel in 21,6-22,3; Henochbiographie
in 68,1-4; Henoch betont als Mensch 39 ), frühchristliche Erweiterungen
(kalendarische Angaben, Michael, Satanael, Schwören 49,1-2 und Mt
5,37; Variationen zu Melchisedek/Christus bzw. Adam/Christus Typologie
Kap 71,32-37 in Handschrift R) und byzantinische Einschübe (Chronographie
in 73, Himmelsbücher, Siebenzahl von Phönixen) abheben. Das slHen
entstand als jüdische Schrift in Nachbarschaft zu 3Bar im 1. Jh. wohl
in Alexandrien (verm. in griechischer Sprache mit vielen Hebraismen) und
fand seinen Weg bald nach 70 in die esoterischen Kreise jüdischer
Mystik, ging ab dem 4. Jh in christliche Bibliotheken über bis es
im 11.-13. Jh in einer Langfassung das Ende des Textwachstums erreicht
hatte (somit diese für Böttrich der Forschung zugrundezulegen
ist) und nunmehr in der slavischen Überlieferung Kürzungen unterworfen
wurde, die zu den Kurzfassungen führten.
Die thematischen Schwerpunkte konzentrieren sich um Henoch als einer
Integrationsfigur für 1. die auf ihn zurückgeführten kalendarischen
und astronomischen Traditionen und ihrer Schöpfungserzählung
in den Kap 1-38 und 2. die ethischen Aussagen in 40-73 sowie auf die kultische
Integrationsfigur des Melchisedek im bisher nach Böttrich allzusehr
vernachlässigten Teil in slHen 68-73, in denen ein „Einbruch der göttlichen
Welt in die menschliche ‘konkurrierend’ neben Henochs Himmelsreise tritt“
(148). Als theologischer Leitgedanke des slHen wird „das Bemühen um
eine Verbindung der eigenen, jüdischen Glaubensgrundlagen mit den
herausforderungen der hellenistischen Umwelt“ (211-212) erhoben. Ein abschließendes
Kapitel benennt die Bedeutung des slHen für die NT-Exegese in den
Schwerpunkten Eschatologie, Ethik und Melchisedek (Hebr). Daneben ergibt
sich manche Einsicht in Kalenderfragen (vgl. Qumran) und damit zusammenhängende
Probleme im Umfeld der frühjüdischen Weisheits- und Schöpfungstheologie
sowie der Brückenfunktion des slHen hin zur jüdischen Mystik.
Was der Rezensent beisteuern kann ist nur, dass Henoch in der esoterischen
Szene des Internet ein neues Revival erfährt und somit diese esoterische
Erfolgsgeschichte weitergeht.
Franz Böhmisch
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